Version LIII

RELIGION
Mysterienkulte der Antike


KYBELE I
KYBELE II
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Der Kybelekult

Die Entwicklung des Kultes in der Hohen Kaiserzeit bis in die Spätantike

In der römischen Kaiserzeit gehörte Kybele/Magna Mater zum religiösen Repertoire der Kaisergattinnen, die sich gerne mit ihr identifizieren und als solche darstellen liessen, was natürlich eine Ausstrahlung auf die senatorische Oberschicht hatte. Damit verband sich private Heilserwartung mit politischer Loyalitätsansage, was der allgemeinen Anerkennung weiter förderlich war.

Als Mysterienkult erfreute er sich ähnlich jenem des Mithras grosser Beliebtheit und die Nachahmung stadtrömischer Vorbilder - etwa eigener Kulthügel - war weit verbreitet. Im Gegensatz zum Mithraskult - der nur den Männern zugänglich war und somit eine typische Soldatenreligion darstellte - verbreitete sich die Magna Mater durch die Zivilbevölkerung über die Handelswege. In den nördlichen Provinzen konzentrierte sich der Kult in den bevölkerungsreichsten Städten. Die Heiligtümer - meist die erwähnten Kulthügeln mit Grotten - konnten dabei auch in Kultgemeinschaft mit anderen Gottheiten treten.

Während der Hohen Kaiserzeit etablierten sich bei den archigalli (Oberpriester) die Mitglieder vornehmer römischer Familien, die sich im allgemeinen nicht kastrierten und damit die archaischen Blutrituale zurückdrängten. Parallel ging bei den Gläubigen der Anteil der Freigelassenen und der Orientalen merklich zurück. An ihre Stelle traten römische Bürger und schlussendlich war es nicht unüblich, dass Priester für römische Gottheiten parallel auch für Magna Mater amtierten. Damit war der Weg frei für eine Einordnung in das gewohnte religiöse Verständnis der Römer, was sich in einer Subordination der Kybelepriesterschaft unter das Kollegium der Quindecimviri niederschlagen sollte. Ähnlich anderer Kulte wurden nun auch reguläre Kultkollegien gegründet und am Ende der Entwicklung hatte es die manchmal als steril abgekanzelte römische Religion geschafft den archaischen Kult voll zu integrieren. In Rom existierte etwa das collegium dendrophorum Matris deum magnae Idaeae et Attis (Baumträgerzunft der Grossen Mutter & des Attis), dessen Mitglieder bei den grossen Feierlichkeiten die geschmückte heilige Pinie trugen.

Bei den Christen stiessen nicht nur die blutigen Rituale - wie auch beim überwiegenden Teil der Bevölkerung - auf Ablehnung. Der Kirchenvater Augustinus meinte spöttisch „Das also sind die berühmten Mysterien der Tellus und der Grossen Mutter, bei denen alles auf vergänglichen Samen und auf Pflege des Ackerbaus hinausläuft.“ Damit stellte er den Kybelekult als typische Religion einfältiger Bauern dar, die nicht über ihren landwirtschaftlichen Horizont hinaussehen könnten. Die Aussage liefert weiters das Indiz, dass sich in der Spätantike Tellus und Magna Mater in ihren Kulten angenähert hatten. Am Ende zog Augustinus den Schluss, dass man mit Musik, Tänzen und Tierverkleidungen ein ewiges Leben verwirke und die Rituale - er vermengte sie übrigens einfach mit jenen der Isis/Osiris - und die Heilserwartung nur eine bösartige sein konnte.

Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die blutigen Rituale eigentlich nur die unmittelbare Priesterschaft betrafen und das mit abnehmendem Charakter. Die Einweihung in die Mysterien ging indes wesentlich gesitteter vor sich. Zwar sind die diesbezüglichen Überlieferungen dürftig, doch kann man an ihnen die üblichen Vorgehensweisen von Mysterienreligionen im allgemeinen erkennen. Bekannt ist etwa folgende aufschlussreiche Formel: „Aus dem Tympanon ass ich, aus der Zimbel trank ich, den Kernos trug ich umher, ich stieg in das innerste Heiligtum hinab.“ Demnach gab es eine rituelle Mahlzeit, die Präsentation heiliger Instrumente und das Betreten eines Allerheiligsten, welches den Zugang zur Errettung der Seele symbolisierte. Leider ist über das Umfeld des Heilsweges der Gläubigen nichts bekannt, doch wird davon ausgegangen, dass die Begleitumstände im Sinne einer Der-Weg-ist-das-Ziel-Läuterung zu sehen sind.

Kybele mit den Attributen Trommel und Ähre auf ihrem von Löwen gezogenen Wagen und an die Pinie gelehnt Attis
ex libro H.Kloft "Mysterienkulte der Antike" (c) M.J.Vermaseren in libro "Cybele and Attis"

Noch im 4.Jh.n.Chr. während der Restauration der alten Kulte durch Kaiser Iulianus wurde die Göttin reichsweit verehrt und in philosophisch-religiöser Weise hochgelobt. Er erwähnte zusätzlich zu den allgemeinen Feiern noch solche zu einem „geheimen Gesetz“ des Kultes. Dabei könnte es sich um eine Art von Gebotssammlung gehandelt haben.

Philosophische Aspekte traten erst in der Spätantike als Antwort und Parallelentwicklung zum Christentum merkbar hervor. Kybele wurde ähnlich wie Isis allegorisierend zur Allmutter und Attis zu einem Gott der himmlischen Sphäre erklärt. Erstere als inspirierende Quelle der schöpferischen Quelle aller Gottheiten und Letzterer als Wegbereiter und Initiant von der transzendenten in die materielle Welt. So durchdrangen einander Geist und Materie. Die daraus entstehende Friktion wurde durch die Entmannung des Attis gelöst, indem die Zeugungskraft - die Basis allen Weltlichen - im Diesseits verblieb und der durch diesen Akt Gereinigte in die göttliche Sphäre eintauchen konnte. Kaiser Iulianus sah in Attis sogar das Pendant zu Jesus Christus als Gottessohn, Geläuterten und Erlöser, der diesem insofern überlegen sei, dass er sein Schicksal wiederholte und damit die stetige kosmische Harmonie verbürgte.

Mit der zunehmenden Heidenverfolgung Ende des 4.Jh.n.Chr. kam man von Einzelpriestern für die unterschiedlichen Mysterienkulte ab und vereinigte mehrere Kulte in einem Priesteramt (das konnten durchaus alle bekannten grossen Kulte sein!), sodass in dieser Zeit möglicherweise ähnliche Rituale „vereinheitlicht“ wurden. Auch werden die hochphilosophischen Aspekte die einfachen Gläubigen kaum berührt haben, sondern die Umsetzung der konkret erlebbaren Rituale mit dem Heilsversprechen.

Trotz der intensiven Bekämpfung der anderen Mysterienkulte, nahm das frühe Christentum in abgeschwächter Form Anleihe am Kybelekult und einige Wesenszüge wurden in die frühchristliche Marienverehrung mit eingebunden. Vor allem Taufe und Askese (als spirituelle Form der Selbstkastration) wurden in den zahlreichen christlichen Sekten seit Anfang des 2.Jh.n.Chr. besonders im Sinne der anderen Mysterienkulte tradiert. Nicht umsonst hatte etwa der bald als hetärisch verdammte Montanismus seine Kultbasis in der Bergwelt Phyrigiens. Die Gläubigen erwarteten die Parusie, d.i. die Wiederkunft des Herrn, in extremer Enthaltsamkeit und übersteigerter Frömmigkeit. Dem Kirchenvater Hieronymus ist hierbei unbedingt Glauben zu schenken, wenn er behauptet Montanus, der Führer der Sekte, sei zuvor Kybelepriester gewesen. Als Eunuch zeichnete er auch für die extrem rigide Sexualethik der Montanisten verantwortlich. Damit wurde aber der ursprüngliche Fruchtbarkeitsritus ins extreme Gegenteil einer christlichen Leibfeindlichkeit und übersteigerten Spiritualität verkehrt. Während des militärischen, ökonomischen und vor allem sozialen Kollaps der Spätantike übte eine solche Abwendung von Diesseits eine enorme Anziehungskraft aus, sodass gewisse hetäre Praktiken des Rigorosen trotz Verdammung durch die Staatskirche auf ebendiese einwirkten. So ist es nicht verwunderlich, dass der Montantismus bis in das 8.Jh.n.Chr. in der Entwicklung des Christentums spürbar blieb.

Auch aus diesen Gründen blieb die Darstellung der Grossen Mutter der Christianisierung zum Trotz über die Jahrhunderte hinweg konstant mit Mauer-, Haus, oder Turmkrone am Haupt und als Attribute Getreideähren, Granatapfel sowie rituelle Musikinstrumente (vor allem die Handtrommel) und Schlüssel. Auch Füllhorn und Szepter konnten ihre Erscheinung prägen. Gerne liess man sie auf einem von Löwen (oder Leoparden) gezogenen Wagen thronen, der durch die Lüfte fliegen konnte. Ab der Renaissance verkörperte sie in Vermengung mit Tellus die Mutter Erde und damit dieses Element. Rubens stellte sie in seinem Gemälde „Die Verbindung des Wassers mit der Erde“ dar, wo Kybele die Erde und Neptun das Wasser symbolisierte. Besondere Beliebtheit erlangte sie schliesslich im 18.Jh. als schmückende Frauengestalt des Barocks.

Kybele über einem Relief der Vestalin Claudia Quinta. Diese bewies ihre angezweifelte Jungfräulichkeit dadurch, indem sie das im Tiber auf Grund gelaufene Schiff mit der Kybelestatue nur durch ihren Gürtel ziehend wieder flott machen konnte, wohingegen eine Anzahl Männer mit Seilen gescheitert war.
ex libro W.Vollmer
"Wörterbuch der Mythologie"


Quellen: H.Gärtner "Kleines Lexikon der grch. & röm. Mythologie", H.Kloft "Mysterienkulte der Antike", W.Vollmer "Wörterbuch der Mythologie", "Der kleine Pauly", Zeitschrift "money trend"

 

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(PL)