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Die Justinianische Pest 541/542

Auswirkungen auf die Bevölkerung

Die Sterblichkeitsziffern waren enorm und überstiegen alles bislang dagewesene. Allein für die erste Pestwelle 541 bis 544 wird ein Bevölkerungsverlust von 25 % angenommen und bis in die Mitte des 8.Jh. hatte sich die Menschenzahl im oströmischen Reich halbiert. Konstantinopel war bis 540 permanent und für damalige Verhältnisse auch rasant gewachsen. 539 hatte Justinian einen Beamten eingesetzt, der sich um die Beschränkung des Zuzugs zu kümmern hatte.

Das grösste unmittelbare Problem war die Organisation der Bestattungen. In Konstantinopel musste hierfür ein eigener Beamter namens Theodoros samt Mitarbeiterstab und entsprechendem Budget berufen werden; und er hatte Mühe und Not die Lage in den Griff zu bekommen. Bei der Pestwelle 558 kam man mit den Bestattungen in der Hauptstadt auf dem Höhepunkt der Todesfälle gar nicht mehr nach.

Johannes von Ephesos, eine der fundiertesten Quellen jener Zeit, hatte erkannt, dass sich die Pest unter den Armen infolge der hygienischen Bedingungen als erstes verbreitete. Er berichtet weiter, dass die Behörden anfangs noch Statistiken über die Todesfälle führten, aber einem Punkt einfach resignierten und nichts mehr aufzeichneten.

Da Ansteckung, Erkrankungsverläufe und die unterschiedlichen Todesarten der Pest jedoch nicht bekannt waren, schien reine Willkür am Werk zu sein. In Konstantinopel banden sich die Menschen Armbänder mit ihrem Namen um, damit sie nicht irrtümlich in einem namenlosen Massengrab landeten.

Die antiken Berichte lassen sich durch Vergleiche mit den Pestzügen des Mittelalters bezüglich ihrer Wahrheitsgetreue gut einschätzen. Demnach wütete die Epidemie in den Regionen sehr unterschiedlich. Ländliche Gebiete waren im Durchschnitt weniger betroffen als die Städte, in denen das öffentliche Leben mehr als einmal vollkommen zum Stillstand kam. Aber auch auf dem Land gab es immer wieder einzelne Gebiete, die völlig entvölkert wurden. Schwerpunkt bei den meisten Erkrankungswellen bildeten die Küstengebiete, wohingegen die Geschwindigkeit des Vordringens in das Landesinnere mit der Entfernung von der Küste deutlich abnahm. Dies nahmen manche Zeitgenossen zum Anlass in dünner besiedelte Gebiete auszuweichen, um einer Ansteckung zu entgehen. Isolierte Gemeinschaften, wie etwa Beduinenstämme in der Wüste, die kaum Kontakt zur Aussenwelt unterhielten, blieben sogar vollkommen verschont.

Einige Städte hatten das Glück und konnten sich in puncto Kopfzahl nach der ersten grossen Pestwelle wieder erholen, andere hingegen schrumpften zu Kleinstädten. Viele Kleinstädte wiederum wurden völlig aufgegeben. In Summe kam es zu grossen, bislang ebenfalls nie dagewesenen Bevölkerungsverschiebungen.

Auswirkungen auf die Wirtschaft

Der Bevölkerungsschwund hatte drastische Auswirkungen auf die Wirtschaft. Zeitweise war das oströmische Reich in puncto Handel, Kommunikation und Verkehr vollkommen paralysiert.

Im April 542 untersagte Justinian den Soldaten ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem aktiven Dienst, da diese die frei gewordenen lukrativen Handwerksbetriebe übernehmen wollten und die Truppenzahl ohnedies bereits ein erforderliches Minimum unterschritten hatte. Im 7.Jh. konnten die arabischen Invasoren mit Leichtigkeit auf byzantinisches Gebiet vordringen, da nicht genügend Menschen zur Verfügung standen die Städte zu verteidigen.

Da die Ernten nicht mehr im erforderlichen Masse eingeholt werden konnten, explodierten die Preise und Justinian versuchte 544 der Inflation mit legistischen Massnahmen entgegenzuwirken. Zahlreiche Äcker und Weiden verödeten, da es niemanden mehr gab, der sie hätte bewirtschaften können und zusätzlich Tierseuchen den Viehbestand dezimiert hatten.

Trotz allen Sterbens und Leidens wurde die Gesellschaftsordnung - vor allem die ökonomischen Diskrepanzen - nicht in Frage gestellt. Hauptverantwortlich dafür dürfte die gleiche Betroffenheit aller sozialen Schichten sein. Zudem bewirkten Todesfälle in hohen Kreisen Optionen Unterprivilegierte auf einen gesellschaftlichen Aufstieg. 

Religiöse Deutung der Seuche

Die bereits erwähnte, gespürte Willkür stellte die Menschen vor das Problem Muster in der Seuche zu erkennen. Nur in einem Punkt waren sich alle einig: die Pest war von Gott gesandt. Die Gründe hierfür wurden diskutiert, aber meistens resignierte man darüber, da es wie gesagt kein Schema zu erkennen gab. Naturwissenschaftliche Begründungen spielten überhaupt keine Rolle mehr, da das antike Theoriewissen im Zuge der grossen Heidenverfolgungen massiv bekämpft wurde. Das Museion in Alexandria war nur elf Jahre vor dem erstmaligen Auftreten der Pest in Ägypten geschlossen worden.

Das am weitesten verbreitete Deutungsmuster des Gotteszornes beschränkte sich nicht nur auf die Pest, sondern schloss die anderen negativen Zeitumstände (Naturkatastrophen, Kriege, etc.) mit ein. Die Menschen hätten sich derart schwer versündigt, dass die Strafe eben dieser Vergehen gerecht wurde. Gerne wurden der Prophet Jesaia und die Offenbarung des Johannes als biblisches Äquivalent herangezogen.

Die religiöse Deutung fiel allenthalben auf fruchtbaren Boden, denn es war während der Höhepunkte der Seuche eine deutliche Zunahme der Frömmigkeit der Menschen zu erkennen. Darüber hinaus wurden manche Zeitgenossen vom Wahnsinn gepackt, predigten die Endzeit und sahen sich von Dämonen besessen. Einige wenige kehrten auch zum heidnischen Glauben zurück, doch wurde dieser Weg konsequent von Politik und Gesellschaft bekämpft.

Viel gefährlicher waren die erwähnten Wahnsinnigen, die von sich glaubten Erklärungen oder Möglichkeiten der Unheilsabwendung gefunden zu haben. In Konstantinopel trat ein Mann auf, der - nachdem er die Erkrankung überlebt hatte - allen weismachte, die Seuche würde aus der Stadt verschwinden, wenn man Tongefässe auf die Strasse werfe und sie dort zerbrechen liesse. Drei Tage lang zerbrachen die Einwohner ihre Tonwaren - ohne Erfolg.

Als nächstes machte das Gerücht die Runde, hinter den Gewändern der Kleriker hause der Tod und wann immer ein Geistlicher sich auf den Strassen blicken liess, riefen die Menschen die Gottesmutter und alle möglichen Heiligen an. Schon seit dem ersten Ausbruch hatte sich der Glaube verbreitet, die Pest könnte sich in Gestalt einer einzelnen Person manifestieren. Diese Vorstellung konkurrierte mit der Annahme, Pestgeister hätten die Seuche verursacht. Manche wollten im Hafen Schiffe mit kopflosen Gespenstern gesehen haben. Was damals als dämonischer Umtrieb angesehen worden war, gehört eigentlich in das Fach Massenhysterie und Umgang mit Extremsituationen.

Die religiöse Deutung verändert das Gesellschaftsgefüge

Neben der gesteigerten Frömmigkeit führte die Pest zu einer vermehrten Marienverehrung. Als anerkannte Mittlerin zwischen Gott und den Menschen hatte sie schon immer einen grossen Stellenwert besessen, doch nun berichtete man immer mehr von Wundertaten und Erscheinungen (vergleichbar mit der Pest im Spätmittelalter!). Ihre Feste wurden zu einem fixen Bestandteil des Kalenders und die Hauptstadt suchte vermehrt bei ihr Schutz. Diese Tendenz begann im 6.Jh. mit der Pest und steigerte sich in den Jahrzehnten danach noch weiter. Im frühen 7.Jh. soll sie sogar persönlich den Belagerern von Konstantinopel entgegengeschritten sein.

Parallel zur Marienverehrung wurde auch die Bilderverehrung durch die Pest vorangetrieben. Die Christen standen Bilder eigentlich ablehnend gegenüber, doch zu Justinians Zeiten wurden sie zumindest als "Lehrbehelf" toleriert und erst mit der Pest erschienen die ersten privaten und öffentlichen Ikonen. 544 soll ein Christusbild die Stadt Edessa vor den Persern gerettet haben und auch in anderen Orten tauchten nun angeblich Wunder (vor allem Heilung und Schutz) wirkende Ikonen auf.

Die religiösen Auswirkungen der Pest schlugen voll auf das politische System des oströmischen Reiches durch, welches sich nun zum Byzanz des Mittelalters wandelte. In der Forschung wird dieser Prozess als "Liturgisierung" des Staates bezeichnet. Die Religion spielte nun in allen Belangen, vom gemeinen Volk auf der Strasse bis zum Kaiser eine herausragende Rolle im Alltagsleben. Die bereits Anfang des 6.Jh. vorhandene Frömmigkeit wurde durch die Seuchenjahre in den 540ern massiv gesteigert und drang in Bereiche vor, die zuvor davon kaum berührt waren. Das politische Handeln und Entscheiden wurde vollkommen umgekrempelt. Hatte sich etwa Konstantin in die Kirche noch als auf antike Vorbilder berufende politische Macht eingemischt, so wurde nun die Politik mehr und mehr von der Religion bestimmt. Besonders deutlich werden die Unterschiede beim Betrachten der Erlasse von Justininan am Anfang seiner Herrschaft und am Ende derselben. Sie zeigen zwei völlig unterschiedliche Weltbilder.

Gut lässt sich dieses Phänomen an den Triumphzügen manifestieren. Die Elemente traditioneller antiker Traditionen wurden nun zugunsten christlich-religiöser Werte verdrängt. Der Triumph über die Vandalen 534 und der kaiserlicher adventus (triumphaler Einzug in die Hauptstadt) 559 waren nicht mehr vergleichbar.

Die spirituelle Überreaktion beendet die Antike

Im oströmischen Reich genoss der Kaiser eine sakrosankte Position, die als Gottesgeschenk interpretiert wurde. Frömmigkeit und Heil des Kaisers standen stellvertretend für das staatliche Gemeinwesen. Wurde die Frömmigkeit vom amtierenden Kaiser beschädigt, so konnte von ihm auch kein Heil ausgehen und er war der Auffassung der damaligen Zeit nach nicht mehr zur Herrschaft legitimiert. Vor diesem Hintergrund ist die Pesterkrankung von Justinian im Jahre 542 zu sehen. So wurde er von vielen im Volk für die zahlreichen Naturkatastrophen verantwortlich gemacht. Vor allem aus diesem Grund liess er seine persönliche Marienverehrung immer wieder hervorheben. An diesem Punkt mündete die Liturgisierung in einer Annährung von Justinian an die Position Christi und seine Darstellung als heiliger Mann in der Aura christlicher Spiritualität und Wunderwirkens. Politische Kritik war damit unmöglich geworden. Justinians Erbe Justin II. führte diese "Übersakralisierung" des Kaiseramtes noch fort, doch die weiteren Nachfolger reduzierten sie auf ein erträgliches Niveau.

Besonders die starke Hinwendung des Kaisers zu Religionsfragen und Kirchenpolitik führte gegen Ende seiner Regentschaft zu Vernachlässigungen anderer wichtiger Staatsaufgaben, allen voran der Aussenpolitik. Während der Herrschaft des Justinian wandelte sich das spätantike oströmische Reich endgültig zum mittelalterlichen Byzanz. Den massgeblichsten Anteil daran hatte die Pest.

Schlussendlich kann das Ende der Antike an der Abschaffung einer Institution sichtbar gemacht werden: den Konsulat. 534 amtierte in Rom mit Flavius Decius Paulinus der letzte Konsul in Rom, was vor allem die herabgesunkene Bedeutung der Stadt widerspiegelt. Doch auch der Konsulat in Konstantinopel wurde 541 mit Anicius Faustus Albinus Basilius zum letzten Mal besetzt; mit dem Auftreten der ersten Pestwelle.

Mangelnde Getreidequalität bot in der Antike ein grosses Potenzial für Massenerkrankungen


Quellen: K-H.Leven "Antike Medizin", M.Meier "Pest", "Der kleine Pauly"

 

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(PL)